Kinderkrankheiten: Die Impflücke und ihre Folgen für Gesundheit und Gesellschaft

Obwohl Impfungen viele schwere Kinderkrankheiten fast zum Verschwinden gebracht haben, gibt es in der Schweiz noch immer bedeutende Impflücken. Diese gefährden nicht nur die Gesundheit einzelner Kinder, sondern auch die sogenannte Herdenimmunität.

Der Artikel beleuchtet, wie gross die Lücke ist, welche Ursachen dahinterstecken – und welche Risiken daraus entstehen.



Welche Kinderkrankheiten sind betroffen?

Im Schweizer Impfplan sind verschiedene Impfungen gegen Kinderkrankheiten vorgesehen. Dazu zählen insbesondere:

  • Masern, Mumps, Röteln (MMR)
  • Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten
  • Poliomyelitis (Kinderlähmung)
  • Hib (Haemophilus influenzae Typ b)
  • Hepatitis B
  • Pneumokokken
  • HPV (Humanes Papillomavirus, ab 11 Jahren)
  • Windpocken (seit 2023 empfohlen)

Besonders kritisch ist die Impflücke bei Masern: Trotz nationaler Eliminationsstrategie liegt die Durchimpfungsrate vielerorts unter dem Zielwert.

Wie gross ist die Impflücke tatsächlich?

Gemäss Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) erreichen viele Kantone die empfohlenen Durchimpfungsraten von 95 % bei Masern nicht. Aktuelle Erhebungen zeigen:

  • Die erste MMR-Dosis wird bei über 95 % der Kinder verabreicht
  • Bei der zweiten Dosis sinkt die Quote auf rund 87–89 %
  • Impfmüdigkeit ist in urbanen und gebildeten Milieus höher

In gewissen Regionen der Schweiz – besonders in Teilen der Zentralschweiz und der Romandie – klafft eine deutliche Lücke.


Tipp: Die WHO empfiehlt für die Ausrottung von Masern eine Impfquote von mindestens 95 % bei beiden Dosen – in der Schweiz wird dieser Wert nur punktuell erreicht.

Welche Ursachen führen zu Impflücken?



1. Informationsdefizite und Unsicherheiten

Viele Eltern sind unsicher, welche Impfungen wann notwendig sind. Fehlende Aufklärungsgespräche oder widersprüchliche Informationen im Internet tragen zur Verunsicherung bei.

2. Skepsis gegenüber Pharmaindustrie

Ein Teil der impfskeptischen Bevölkerung zweifelt die Neutralität von Studien und Empfehlungen an. Der Wunsch nach „natürlicher Immunität“ ist in diesen Kreisen stark verbreitet.

3. Zugangshürden und organisatorische Hindernisse

Obwohl Impfungen in der Schweiz einfach zugänglich sind, verpassen manche Familien Termine oder haben Hemmungen, zusätzliche Arztbesuche zu organisieren. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt.

4. Religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen

In bestimmten Gemeinschaften oder religiösen Gruppierungen besteht eine generelle Ablehnung gegenüber Impfungen – teils aus Misstrauen, teils aus weltanschaulichen Gründen.

5. „Erfolg“ der Impfungen

Je seltener eine Krankheit auftritt, desto geringer wird das Risikobewusstsein. Viele Eltern haben nie erlebt, wie gefährlich Masern oder Mumps tatsächlich sind – das senkt die Bereitschaft zur Impfung.

Was sind die Folgen dieser Impflücken?

1. Wiederkehrende Krankheitsausbrüche

Masernausbrüche in Schulen, Kindergärten oder Gemeinschaften sind kein Einzelfall mehr. In den letzten Jahren kam es in der Schweiz regelmässig zu regionalen Epidemien – mit teils schwerem Verlauf und Quarantäne-Massnahmen.

2. Gefährdung vulnerabler Gruppen

Nicht alle Menschen können geimpft werden – etwa Säuglinge, Schwangere oder immungeschwächte Personen. Diese sind auf die Herdenimmunität angewiesen. Sinkt die Impfquote, steigt ihr Risiko massiv.

3. Zunahme schwerer Komplikationen

Ungeimpfte Kinder können nicht nur erkranken, sondern auch schwere Spätfolgen entwickeln: z. B. SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis) nach Masern oder Unfruchtbarkeit nach Mumps.

4. Soziale und wirtschaftliche Kosten

Erkrankungswellen führen zu Schulschliessungen, Arbeitsausfällen der Eltern und hohen Kosten im Gesundheitswesen. Impfungen sind volkswirtschaftlich günstiger als Behandlung und Eindämmung von Ausbrüchen.


Tipp: Eine vollständige Durchimpfung ist nicht nur ein Akt des Selbstschutzes, sondern ein Beitrag zur kollektiven Gesundheit – insbesondere für Risikogruppen.

Was kann gegen Impflücken unternommen werden?

1. Bessere Aufklärung und individuelle Beratung

Eltern brauchen verständliche Informationen – ohne Druck, aber mit Klarheit. Kinderärztinnen und -ärzte spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch Schulärzte und Beratungsstellen sollten aktiver eingebunden werden.

2. Erinnerungssysteme und Impfpässe digitalisieren

Digitale Impfausweise und automatisierte Erinnerungen könnten helfen, Impftermine nicht zu verpassen. In anderen Ländern sind solche Systeme bereits erfolgreich etabliert.

3. Aufsuchende Impfangebote

Mobile Impfteams an Schulen oder Veranstaltungen erleichtern den Zugang, insbesondere für sozial benachteiligte Familien.

4. Vertrauen stärken statt Druck ausüben

Zwang ist kontraproduktiv – nachhaltige Impfbereitschaft entsteht durch Dialog, Transparenz und das Erleben von Solidarität in der Gemeinschaft.

Wie ist die Situation im internationalen Vergleich?

Die Schweiz gehört zu den Industrieländern mit stabilen, aber nicht optimalen Impfquoten. Länder wie Portugal oder Schweden erreichen deutlich höhere Raten bei MMR oder HPV. Gleichzeitig liegt die Schweiz über dem EU-Durchschnitt – besonders dank guter medizinischer Versorgung und hohem Bildungsniveau.

Ein Blick nach Deutschland und Frankreich:

  • Deutschland kämpft ebenfalls mit regionalen Impflücken – es gibt jedoch verpflichtende Nachweise für den Kitabesuch.
  • Frankreich hat seit 2018 eine Impfpflicht für elf Kinderimpfungen – die Quoten stiegen deutlich.

Fazit: Die Impflücke ist real – und überbrückbar

Die Impflücke bei Kinderkrankheiten ist ein reales Risiko für die Gesundheit von Kindern und der Gesellschaft als Ganzes. Sie entsteht nicht aus Ignoranz, sondern aus Unsicherheit, Zugangshürden und wachsender Impfskepsis. Wer Aufklärung, Vertrauen und barrierefreien Zugang fördert, kann diese Lücke schliessen – ohne Zwang, aber mit Verantwortung. Impfungen sind eine Erfolgsgeschichte der Medizin – sie sollten es auch in Zukunft bleiben.

 

Quelle: xund24.ch-Redaktion
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